Während Madiakher Liter um Liter Bissap machte, schälte und schnitt ich Kilo für Kilo Zwiebeln
Ein Fest soll es sein. Ein Fest in grossem Rahmen in friedlicher Stimmung, mit der Chance, in die senegalesische Welt einzutauchen. Die ersten Vorbereitungen und Abklärungen fanden schon früh dieses Jahres statt, doch schon bald waren die Ideen konkretisiert und das Fest «Coeurs des Enfants» bereit, realisiert und erlebt zu werden.
In Senegal ist das Leben nicht einfach. Wo ist es das schon? Einfach. Gerade in der heutigen Zeit ist das Leben ein stetiges Herausfinden, welcher Weg einzuschlagen ist. Verschiedene Dinge bewundere ich an den Menschen, welche in Senegal leben. Trotz dieses täglichen Überlebenskampfes, dem Suchen nach Arbeit, des Hungers und der Aussichtslosigkeit tragen sie eine Lebensfreude in sich, welche einzigartig ist. Sie können trotz all der harten Lebensbedingungen im Hier und Jetzt sein und gemeinsam Momente der Freude leben. Geht man in Mbour durch die Strassen, sieht man nur die Wenigsten mit hängendem Kopf durch die Gegend gehen. Gesichter sind höchstens konzentriert, hungerig oder fokussiert. Stets grüsst man bekannte Menschen.. «Nun ngi chiar». (Wir grüssen dich/euch). «Chiar naleen» (Ich grüsse dich). «Nan ngeen def?» (Wie geht es euch)? «Nun ngi fi.» (Uns geht es gut). Ndax dang ngeen am djamm? (Seid ihr im Frieden)? «Nun ngi si djamm.» (Wir sind im Frieden). «Alkhamdhulilah». Und jeder geht wieder seinen Weg weiter. Würde man abwesend durch die Strassen gehen und nicht grüssen, wird dies als unhöflich betrachtet. Der persönliche Kontakt ist hier die Kommunikationsweise sowie die Art und Weise, überleben zu können. Kontakte und persönliche Gespräche bringen einen weiter und lassen für einem Moment gemeinsam die Zeit mit ihren Themen teilen und tragen. Freude und Leid wird hier miteinander geteilt. Verabschiedet sich ein Mensch von diesem Leben, wird gemeinsam getrauert. Kommt ein neues Leben auf die Welt, wird gemeinsam das neue Leben gefeiert. Wird geheiratet, wird gemeinsam die Liebe zelebriert. Die Trommeln werden geschlagen, es wird gesungen, Glückwünsche und Segen ausgesprochen sowie getanzt. Oder es wird gemeinsam getrauert, der verstorbenen Seele ihren Frieden gewünscht sowie den Hinterbliebenen Kräfte mit auf den Weg gegeben.
Das Fest «Coeurs des Enfants» sollte für all dies Raum bieten. Wir wollten mit euch die senegalesische Lebensfreude erleben, euch in einer persönlichen Begegnung von all unseren Erlebnissen erzählen, vom Projekt «Coeurs des Enfants» sowie damit unsere Dankbarkeit ausdrücken. Viele Herzen benötigt es, um ein solches Projekt ins Leben zu rufen und auch am Leben zu erhalten. So sollen auch all die vielen Herzen gemeinsam schlagen, dazu tanzen, sich gemeinsam freuen sowie die wundervollen Emotionen und Erlebnisse gemeinsam teilen und tragen.
Für mich startete das Fest gefühlsmässig schon zwei Tage vor dem eigentlichen Festtag. Bereits die ganze Woche vor dem Fest waren wir schon mitten in den Vorbereitungen. Hier etwas Kleines noch zu erledigen und da etwas Anderes. Am Donnerstag vor dem Fest wurde grosszügig eingekauft. Und dann der Freitag vor dem Fest! Die Küche meiner Eltern wurde zur senegalesischen Küche. Früh morgens haben wir begonnen mit Kochen. Während Patricia nochmals zwei Mal losfuhr, um noch vergessene Dinge einzukaufen, waren Samba und Madiakher am Herd, um das Poulet zu kochen. Schon eine Stunde bevor Samba und Patricia bei uns eingetroffen sind habe ich begonnen mit dem Schneiden von Zwiebeln und Madiakher mit dem Kochen vom Bissap (Hibiskusblütensaft). Während Madiakher Liter um Liter Bissap machte, schälte und schnitt ich Kilo für Kilo Zwiebeln. Wie ein eingespieltes Team kochten wir und arbeiteten alle parallel. Gegenüber von mir sass Samba und schnitt ungefähr drei Kilo Karotten. Als das Poulet gekocht war, marinierte er gemeinsam mit Madiakher das Fleisch. Ich war mittlerweile beim ungefähr fünften Kilo Zwiebeln angelangt, während Patricia nach ihrer Einkaufstour schon die Peperoni geschnitten hatte und nun Samba und Madiakher beim Marinieren half. Beide Männer hatten beide Hände in je einer grossen Platte gefüllt mit Poulet drin und verteilten den Senf und das Gewürz, welches Patrica dazu gab. Die Küche und die Stube waren belegt und voll ausgenutzt. Und dann wurde das Poulet in Öl etwas frittiert und daneben eine erste grosse Pfanne mit der Sauce begonnen. Bald kam eine zweite Pfanne dazu. Ich schnitt weiter die Zwiebeln. Ich peilte das achte Kilo an. Zum Glück tränten meine Augen nach den ersten fünf Zwiebeln nicht mehr, doch langsam bereitete mir mein linker Daumen etwas Schmerzen. Während ich das achte Kilo Zwiebeln erreichte, setzten wir den dritten Topf mit der Sauce auf den Herd und das Poulet war mittlerweile fast frittiert. Als gegen Abend meine Mama und ihre Mama zu uns auf Besuch kamen meinten sie, sie hätten schon in der Garage unten von unserem Gericht gerochen. Es ging gegen das Abendessen zu, als wir mit allem fertig waren. Alles stand bereit für den kommenden Tag, das Fest «Coeurs des Enfants».
Am Samstagmorgen trafen wir uns wieder. Es konnte los gehen. Das Auto war gefüllt, alle Getränke eingeladen und die Helfer/innen waren bereit. Eine kurze Aufteilung und es ging los. Im Nu war alles aufgestellt, alle Fotos aufgehängt, die Festbänke aufgestellt und die Küche eingerichtet. Auch der Reis war schon gekocht und wir warteten auf die ersten Besucher/innen. Von Minute zu Minute stiegt die Nervosität bei mir. Ich mag es nicht nervös zu sein und normalerweise kann ich sie gut in schach halten. Dieses Mal gelang es mir nicht so gut. Ich war zwar voller Freude und Glückseeligkeit, doch ich hatte auch eine grosse Anspannung in mir. Mir ging immer wieder durch den Kopf, welch eine Verantwortung auf meinen Schultern liegt. Diese Verantwortung trage ich tagtäglich und bin mir dessen bewusst. Madiakher und ich sind das Gesicht dieses Projektes. Mit uns zusammen sind alle aus dem Vorstand und alle Herzen, welche uns unterstützen. Ich bin euch allen unglaublich dankbar, denn ich führte mir genau dies immer wieder vor Augen. Es war ein solch bewegender Moment für mich, dass trotzdem die Nervosität immer wieder durchdrang. Noch einmal kurz auf die Toilette, einen Moment nur für mich haben und dann ging es auch schon los. Wie ich mich auf diesen Moment freute. Endlich konnte ich euch allen persönlich von Coeurs des Enfants erzählen. Wir konnten uns begegnen, die Namen bekamen Gesichter und so übertrug sich die Lebensfreude auf alle. Und dann kam der Moment, vor dem ich den grössten Respekt hatte. Ich sollte nach dem Trommelauftritt von Samba und Madiakher kurz etwas erzählen.
Grundsätzlich bin ich es gewohnt, vor vielen Menschen zu sprechen. Im Rahmen meine Ausbildung musste ich dies viel üben, hatte diverse Prüfungen und Präsentationen, bei denen ich vor Publikum einen Vortrag hielt. Auch auf der Arbeit als Sozialpädagogin konnte ich ohne Probleme vor viele Menschen treten. Doch das hier und heute war etwas anderes. Was soll ich euch erzählen. Am liebsten würde ich euch von allem erzählen. Vom dem, was ich jeden Tag in Senegal erlebe, von allen «Wir Stillen Hunger» Aktionen, von dem Brückenbauen zwischen den beiden Welten Schweiz – Senegal oder auch einfach von dem gemeinsam Erschaffen mit dem Vorstand und Madiakher zusammen von Coeurs des Enfants. Ich legte mir im Vorfeld ein paar Worte bereit. Ich beschloss, nicht von den einzelnen Erlebnissen in Senegal zu erzählen. Ich würde kein Ende finden. Viel lieber bin ich im Austausch mit euch allen, antworte auf eure Fragen, zeige euch auf den Bildern, was wir wo gemacht haben und was unsere Pläne sind. Und dann war der Moment da. Ich stand da, vor euch. Wie konnte es auch anders sein… mein Kopf war leer. Trotzdem hatte ich eine innere Ruhe sowie eine Klarheit, welche immer in mir entsteht in Momenten wie diesen. Es fühlte sich für mich an als würde nicht ich sprechen, sondern eine Stimme in mir. Ich sprach, ich erzählte und bedankte mich. Als ich davon sprach, wie ich in diesem Schulgebäude einmal selber in der Schule war und ich hier meine ersten Projekterfahrungen gesammelt habe, wollten mir Tränen kommen. «Mist! Nein, nicht jetzt», dachte ich mir. Das ist definitiv der falsche Zeitpunkt. In Sekundenschnelle ging es mir durch den Kopf wie anstrengend ich es finde, dass ich so emotional geworden bin, seit ich ausgewandert bin. Ständig steigen mir Tränen in die Augen. Ich kann unglaublich glücklich sein, gerührt oder voller Dankbarkeit und die Tränen kommen. Emotional war ich schon immer, doch seit dem Auswandern hat es sich verstärkt. Ich atmete tief durch und setzte zum nächsten Satz an. Huff, gerade nochmals die Kurve gekriegt. Es fühlte sich wundervoll an, euch allen ins Gesicht blicken zu können und Coeurs des Enfants zu repräsentieren. Ich war unglaublich stolz auf all das, was wir als Team erreicht haben. Euch allen, dem Vorstand und allen die uns auf irgendeine Art unterstütz haben ist es zu verdanken, dass Coeurs des Enfants zum dem geworden ist, was es jetzt ist. In dem Moment vor euch war ich voller Dankbarkeit und Freude. Am liebsten hätte ich euch alle umarmt. Ihr seid grossartig!
Am Ende fühlte sich die Rede gut an, obwohl ich eigentlich nicht mehr genau wusste, was ich gesagt hatte. Es schien mir, als hätte ich die passenden Worte gefunden. Schlag auf Schlag ging das Fest weiter. Ich war die ganze Zeit in Bewegung, in Gesprächen, in Begegnungen und einfach mittendrin. Ich durfte mich tragen lassen und einfach all die Momente mit euch geniessen. Es war mir eine Ehre! Und ich glaube ich spreche für ganz Coeurs des Enfants, wenn ich sage, wie grossartig für uns das Fest «Coeurs des Enfants» war.
Jërëjef way!!! Vielen herzlichen Dank!!!