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Einen Augenblick im Oktober

Einen Augenblick im Oktober

Als weisse Person im Senegal wird man mehrheitlich als reich betitelt, als nicht sehr intelligent in Bezug auf das Alltagsleben sowie manchmal sogar als etwas respektlos. Diese Aussagen sind nicht die Schönsten und treffen natürlich auch nicht auf alle weissen Menschen zu, doch ich möchte meine Erfahrungen hier schildern, welche mich als weisse Person traurig machen. Es macht mich traurig, da ich mich für meine weissen Mitmenschen schäme. Auch macht es mich etwas fassungslos, wie es nur möglich ist so mit anderen Menschen umzugehen. 

Ich sitze hier auf meinem Balkon und schreiben diesen Bericht. Noch immer ist die Hitze drückend doch zum Glück gibt es etwas Wind. Lange ist es her, seit ich den letzten Bericht geschrieben habe. Da ich mich schon so sehr in das Leben hier eingelebt habe, fallen mir keine Dinge mehr auf oder ein über welche ich schreiben könnte. Doch heute, jetzt hat sich dies schlagartig verändert. Ich sitze also hier in einem Schattenplätzchen, bewache die Hirse die in der Sonne am trocknen ist vor den Vögeln und schreibe euch mein heutiges Erlebnis. Eigentlich war es ein Tag wie viele andere auch. Nichts geplant, etwas Büroarbeit für Coeurs des Enfants zu tun, etwas Haushalt, Madiakher ging auf den Markt einkaufen und ich überlegte wieder einmal, was für Themen euch interessieren könnten. Es kam der Nachmittag, die Hitze war so heiss, dass wir nur noch im Haus drinnen ein kühles Plätzchen gefunden hatten, um eine Siesta zu machen. Als ich plötzlich ein Auto hörte. Neben mir schlief Madiakher, da er die vorletzte Nacht durchgehend getrommelt hatte. Es wurde die Geburt von Mohammed gefeiert. Ein wichtiger Feiertag für die Menschen mit muslimischem Glauben. Wie ihr euch bestimmt erinnern könnt, ist vor unserem Haus hier, durch den Regen eine Lagune entstanden. Noch vor etwa einer Woche war alles voller Wasser, doch mittlerweile kann man viele kleine Teiche erkennen mit nur noch wenig Wasser drin. Es sind unzählige kleine und grosse Seen und Teiche, sodass nur kleine Trampelpfade für den Spaziergänger da sind. Seit der Regen kam ist kein Auto mehr hier durchgefahren. Logisch, es ist ja auch eine Lagune hier. Mehrmals am tag gehen die Menschen bei uns durch den Garten, um überhaupt von der einen Seite zur andere zu kommen, ohne Nass zu werden. Gerade wegen dieser Lagune haben wir zwei Gartentore, um auf das Grundstück zu kommen. Denn war die Lagune gefüllt war der eine Eingang gesperrt. Ich ging also auf den Balkon nach Draussen, denn in meinem Kopf kreiste der Gedanke, dass ich ein Auto gehört habe, und tatsächlich. Ein für hier teures Auto mit 4x4 antrieb steckte mit allen vier Rädern, bis zur hälfte des Autos, in einem Teich der Lagune fest. Ich fragte mich wer hier überhaupt mit einem Auto durch die Lagune fahren will, denn ziemlich jeder Senegalese kennt die Strassen ringsherum sowie die Tatsache, dass die Lagune den Boden aufgeweicht hat und somit kein sicheres Auftreten möglich ist. Auch kann beobachtet werden, dass die Lagunen doch ziemlich tief sind. Unzählige Menschen haben sich um dieses fast versunkene Auto gesellt und versuchten es heraus zu ziehen. Das Auto bewegte sich keinen Millimeter. Unter den Menschen die sich um das Auto gesellten sah ich auch zwei weisse Personen. Es waren zwei Männer. Der eine stand mit etwas Abstand, mitten in der Sonne, mit einer roten Badehose und seiner Glatze, welche der Farbe seiner Badehosen glich, vor dem Auto und dokumentierte das Geschehnis und tippte ganz wild auf seinem Handy umher. Der Andere stand auf der anderen Seite des Autos, in der Hand seine ganz weissen Turnschuhe und schien zu versuchen nach Lösungen zu suchen. Es schienen beide Geschäftsmänner gewesen zu sein, denn beide trugen eine Aktentasche unter dem Arm. 

Es wurde wild umher telefoniert und besprochen, bis dann ein anderes Auto kam, um die beiden weissen Männer mit ihrem senegalesischen Führer weg zu fahren. Ich vermutete, dass nun die weissen Männer weiter ihren Weg gingen und der senegalese sich um das Auto kümmern würde. Es verging etwa eine Stunde und der Senegalese der den beiden weissen Männer half, war wieder zurück gekommen. Schnell bildete sich wieder eine Gruppe an Männer und Jungs die alles mögliche Versuchte, um das Auto heraus zu holen. Wenige minuten später kam dann ein grosser LKW, welcher rückwärts versuchte an das versunkene Auto heran zu kommen. Doch der Trampelpfad war zu klein und zu feucht, und die Gefahr selbst in der Lagune zu versinken, zu gross. Es brauchte einen neuen Plan. Es wurde herumtelefoniert und gewartet. Wieder eine Stunde später kam ein kleinerer LKW. Dieser konnte ein Stück in richtung des Autos fahren doch nicht die ganze Strecke, da das Weglein zu feucht und somit gefährlich wurde. Seile wurden befestigt und ein erster Versucht gestartet das Auto heraus zu ziehen. Erfolglos. Beim zweiten Versuch schoben alle die konnten das Auto noch mit. Da bewegte es sich endlich und konnte komplett geborgen werden. Die Freude war gross und alle Jubelten. Nicht nur die Bedingungen der Lagune in der das Auto feststeckte, waren herausfordernd sondern auch noch das Wasser ringsherum. Die Männer die das Auto stiessen, befanden sich bis zum Knie im Wasser. So war alles danach nass. Als das Auto geborgen war und die Türen geöffnet wurden, kam zuerst ein grosser Schwall an Wasser heraus. Und so fuhren die beiden LKWs und das Auto mit Kindern, die hinten auf die LKWs geklettert waren, los. 

Unser Nachbar, der mitten in der Gruppe war um zu helfen, kam zurück mit seinen Kindern. Alle hatten Schlamm volle Füsse und Schuhe und brauchten erst einmal eine komplette Reinigung. Und da waren sie nicht die einzigen. Die Jungs die in der Lagune standen um zu stossen waren von unten bis oben mit Schlamm verdreckt. Auch unserem Nachbarn standen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. So meinte er, er könnte nicht verstehen wie man in die Lagune reinfahren könnte. Es wäre ja schon von weitem das Wasser zu sehen. Es wären zwei Weisse gewesen, die in die Lagune gefahren seinen, meinte er. Weitere Sätze diesbezüglich liess er im Raum stehen. Doch ich verstand, dass er ihren Verstand in Frage stellte. Was ich absolut nachvollziehen konnte. 

Es war eine mir bekannte Szenerie. Fast täglich kann ich weisse Personen beobachten, die sich in etwa auf diese Weise verhalten. Die Weissen können sich alle ein teures Auto leisten, haben fast alle ein Auto mit einem 4x4 Antrieb und regeln alle Schwierigkeiten mit Geld. Ich mag es nicht solche Worte zu schreiben, zu denken oder gar zu beobachten. Ich erlebe es stetig und es macht mich unglaublich traurig. Denn nicht alle weissen Personen sind so, doch hier zeigt sich die Mehrheit auf diese Weise. So wundere ich mich auch nicht mehr, weshalb ich stetig damit konfrontiert werde als weisse Person ausgenutzt zu werden. Das Madiakher und ich stetig in Situationen kommen, in denen wir aufklären müssen. Mit ziemlich jeder Person, mit der ich ins Gespräch komme und die etwas von mir möchte, erkläre ich, dass auch wir weissen Menschen arbeiten müssen, um an Geld zu kommen. Dass es nicht vorwiegend die Hautfarbe ist die Reich macht, sondern das Arbeiten. Auch ich als weisse Person muss arbeiten, um leben zu können. Natürlich haben die Ausgangslage und der Background eines Menschen einen Einfluss doch auch der Fleiss und die Tüchtigkeit sind massgebend, um sich ein Leben zu finanzieren. 

Mittlerweile sitze ich wieder in meinem Mückennetz und die Sonne ist untergegangen. Obwohl die Hitze schon etwas nachgelassen hat, schwitze ich noch. Doch ich bin froh, dass die Nacht langsam einbricht und ich etwas von der Kühle schon riechen kann.

©Verein "Nio boku gis gis - on vois dans la même direction"