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… die Kontraste könnten grösser nicht sein

… die Kontraste könnten grösser nicht sein

Hier im Senegal erlebe ich viele unterschiedliche Kontraste. Seit Monaten war ich nicht mehr in einem Supermarché, oder wie mir von der Schweiz bekannt, Einkaufsläden. Wenn wir etwas benötigten, gingen wir auf den Markt oder in die kleinen Eckläden, welche als hier im Senegal als «Boutique» bekannt sind. Hier gibt es alles Mögliche zu kaufen, was man so im Alltag benötig und dies in den unterschiedlichsten Grössen. Von Schuhen zu Lebensmittel und Putzmittel, Hygieneartikel oder auch Kohle und Haushaltsgeräte. In einer «Boutique» kannst du einfach das Unterschiedlichste finden. Als ich das erste Mal vor einer solchen Boutique stand, konnte ich nicht wirklich einschätzen, was sich hinter dieser Türe alles verbarg. Es schien mir staubig und düster zu sein. Auch die Gitterstäbe mit dem kleinen Loch, welches für die Durchgabe der Produkte gedacht ist, irritierten mich auf den ersten Blick. Der Grossteil der Produkte waren aufgehängt und wirkten staubig. Doch auf den zweiten Blick konnte ich erkennen, dass alles seine Ordnung hat. Die Lebensmittel, wie beispielsweise Pfefferkörner, waren in kleine Plastiksäcke abgepackt und aufgehängt. Viele verschiedene Plastiksäckchen hingen nebeneinander, damit sie ausser Reichweite der verschiedenen Nagetiere waren. Die Produkte waren abgepackt in grosse und kleine Tütchen, damit sich auch jemand mit einem kleinen Budget die entsprechenden Produkte kaufen konnte. Die Gitterstabinstallation hat den Sinn die Produkte zu schützen, damit es schwieriger wird, etwas zu entwenden. Gleichzeitig dient sie aber auch dazu, die Produkte schön aufzuhängen. Alles hatte seinen Platz und Sinn.

 

Eines Tages wollten wir Brot backen mit Hirsemehl und da es in den Boutiquen mehrheitlich kein Mehl gibt, kauften wir uns Hirse. Also gingen wir in der Boutique Hirse kaufen. Zuhause trennten wir mit Hilfe des Windes die Hirse von dem Spelt. Durch das Umfüllen der Hirse von einer Schüssel in die andere in Zusammenspiel mit dem Wind, blies es uns den Spelt aus den Schüsseln. Nach dem Waschen der Hirse legten wir sie zum Trocknen in die Sonne. Als sie nach einigen Stunden trocken war, gingen wir damit einige Strassen weiter. Da befand sich ein kleines Geschäft, welches verschiedene Mühlen hatte, um unterschiedliche Körner zu mahlen. Es schien sich um ein Geschäft zu handeln, das sich generell mit dem kompletten Herstellungsprozess von Mehl auszeichnete. Ähnlich wie wir zu Hause dies schon gemacht hatten, wird hier das Korn sortiert, gewaschen, getrocknet und anschliessend zu Mehl gemahlen. Da wir diese vorbereitenden Arbeitsschritte bereits selbst ausgeführt hatten, konnten wir die Hirsekörner nun einfach zum Mahlen geben. Wir übergaben also die Hirsekörner und wenige Minuten später hielten wir das fertige Mehl in den Händen. Jetzt stand dem Fladenbrot-Backen nichts mehr im Weg. Monate später kam es zu einer weiteren Gegebenheit, in der wir Mehl benötigten. Wobei mir dieses Mal vor allem der Kontrast zwischen den beiden Möglichkeiten zu denken gab.

 

Ende Juni waren wir dann das erste Mal wieder in einem Supermarché. Es war ein eigenartiges Gefühl. Von einer Sekunde auf die andere fühlte ich mich nach Europa versetzt. Es erinnerte mich an meine Zeit, als ich für einige Monate in La Rochelle (FR) lebte. Nur die Preisangeben in CFA sowie die senegalesischen Menschen liessen erkennen, dass ich im Senegal und nicht in Frankreich war. Hier könnte ich alles Mögliche, aus Europa gewohnte, einkaufen, doch dem entsprechend hoch sind auch die Preise. Hier begegneten wir vielen europäischen Menschen. Ein ungewohntes Gefühl, da ich mich seit Monaten nicht mehr oft unter europäischen Menschen aufgehalten hatte. Obwohl Madiakher und ich beim Einkaufen versuchten lokale Produkte zu kaufen, fragte ich mich, wie clever es wohl ist, hier einzukaufen. Für uns war es natürlich super praktisch. Denn so konnten wir einen Grundvorrat für unser zukünftiges Zuhause einkaufen, in welches wir dann am folgenden Tag einziehen würden. Auch heute wollten wir Mehl kaufen, um zu Hause Fladenbrot zu backen. Ohne gross zu überlegen, lag die Kilopackung Mehl schon im Einkaufswagen. Keine einzige Minute dachte ich über den ganzen Herstellungsprozess nach. Geschweige denn darüber, woher das Mehl wohl kommen mag. Ich realisierte wie weit weg wir eigentlich sind von den Produkten und deren Herstellungswege und wie wichtig ich es empfinde genau all dies zu kennen und zu erleben. Zur gleichen Zeit überlegte ich, dass ein Supermarché (dem europäischen Modell folgend) ja auch seine Vorteile hat. Denn er schafft auch Arbeitsplätze und erleichtert gleichzeitig den Alltag der Menschen. Aber wäre es nicht doch gescheiter, die lokalen Boutiquen und den Markt zu unterstützen? Generell ist das eine schwierige Frage, auf die Ich keine konkrete Antwort finden konnte. Ich denke jedoch, dass wir nicht nur das eine oder Andere unterstützen können und sollen. Denn beispielsweise Arbeitsplätze zu unterstützen, sei es durch Einkaufen in einem Supermarché oder durch die lokalen Einkaufsmöglichkeiten, ist beides sinnvoll und möglich. Wobei bedacht werden sollte, dass wir hier beispielsweise tag täglich Stromausfall haben und das Leben in und mit der Natur, ein Überleben ermöglicht. So ist ein Markt oder eine Boutique genau auf diese Realitäten angepasst.

 

Einige Tage nach dem Einzug in unser neues Zuhause fuhren wir mit dem Streckentaxi in die Stadt Mbour. Als wir in die Stadt hineinfuhren sah ich vor der einen Schule Kinder, welche Bausandberge mit Eimern und Tüchern in ein Gebäude transportieren. Es war ein trauriges Bild, denn eigentlich sollten diese Kinder doch in der Schule sitzen und Dinge über die Welt und das Leben lernen. Als könnte Madiakher meine Gedanken lesen, erzählte er mir, dass dies ein alltägliches Bild sei. Auch er hatte diese Szene beobachtet. Weit weg in seinen Gedanken erzählte er, dass die Regierung die Kinder mit dem Baumaterialtransport beauftrage und ihnen dafür einen winzigen Lohn von ca. 100 CFA (umgerechnet ca. 0,16 CHF) geben. Mit diesem Betrag kann beispielswiese gerade mal eine kleine Packung Kekse (mit vier Keksen drin) oder zwei Tassen Kaffee Touba gekauft werden. Dass Kinder hier in den Strassen alles mögliche an Arbeiten übernehmen, ist offensichtlich und an der Tagesordnung. Doch dass die Kinderarbeit von der Regierung sogar direkt gefördert wird und sie dazu noch unterbezahlen, löste bei mir an diesem Morgen ein weiteres, unglaublich trauriges Bild und Gefühl aus. Auch ich, tief in Gedanken, reagierte auf Madiakhers Bericht mit der Aussage, dass die Kinderarbeit gegen jegliche Kinderrechte verstossen würde, was er mir mit einem Kopfnicken und traurigen Blick bestätigte. Das Recht der Kinder ist mir ein grosses Anliegen. Als Sozialpädagogin kam ich oft mit Realitäten in Kontakt, welche nicht kindsgerecht waren oder gegen den Schutz, die Sicherheit und gegen die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder verstiessen. Auch in der Schweiz gibt es viele unschöne Tatsachen. Doch im Gegensatz zum Senegal sind in der Schweiz mehr klare Handlungsmöglichkeiten gegeben. Hier im Senegal beschäftigte es mich weiter und ich frage mich immer wieder, welche Handlungsmöglichkeiten uns hier zu Verfügung stehen. Die Unterstützungsmöglichkeiten, welche wir durch «Coeurs des Enfants – Ndimbal ak yërmandé» bieten möchten und werden ist die eine Sache, aber ich frage mich immer wieder, ob es auch die Möglichkeit geben würde, auf politischer Ebene etwas zu bewegen? All dies ging mir durch den Kopf als wir in diesem Streckentaxi sassen und die Kinder beim Arbeiten vor dem Schulgebäude beobachteten. Plötzlich führen an uns zwei neue, noble, frisch gewaschene und teure Autos vorbei. Es schienen Menschen im Auto zu sein, welche einen hohen Posten bei der Regierung haben. Nicht allzu oft können wir Autos in solch gutem Zustand sehen. Und wenn solche Autos zu sehen sind, befinden sich meist weisse ältere Menschen drin, welche mit Einheimischen leben oder verheiratet sind oder eben Personen, welche einen hohen Posten bei der Regierung haben. Anmerkung meinerseits, die du verwenden kannst, aber nicht muss. «Wenn ich so darüber nachdenke, ist der Kontrast zwischen Reichtum und Armut wohl in jeder Gesellschaft sichtbar. Hier im Senegal ist es einfach doppelt so eindrucksvoll, da die beiden Extreme, Reich und Arm so stark zu erleben sind.

 

In Mbour angekommen setzte ich mich für einige Stunden in ein Internetspot, um Arbeiten für Coeurs des Enfants zu erledigen, sowie Videocalls mit meinen Liebsten Zuhause in der Schweiz zu machen. Währenddessen traf Madiakher die ersten Vorbereitungen für das baldige Fest «Tabaski». Es ist ein Opferfest, an dem jede Familie Schafe opfert. Es dauert drei Tage lang und neben dem Sich-schön-machen für das Fest und dem Opfern der Schafe, wird vor allem um Vergebung gebeten. Wirklich viel über dieses Fest ist mir noch nicht bekannt. Doch schon bald darf ich es zum ersten Mal miterleben. Madiakher machte sich auf die Suche nach einem Schaf. Die Schafe müssen dafür einem bestimmten Standard entsprechen. Es muss starke Hörner haben, gut gebaut, gesund, erwachsen und noch viele weitere Eigenschaften mitbringen. Ein Schaf zu erhalten unter dem Preis von 100'000 CFA (umgerechnet 164,29 CHF) ist ziemlich schwierig. Denn die Preise für Schafe steigt um diese Zeit natürlich an. Madiakher ist es aber gelungen, den Preis bis zu 80'000 CFA (umgerechnet 131,43 CHF) zu verhandeln. Ein gutes Geschäft, wenn man die hohe Nachfrage berücksichtigt.

 

Als wir beide alles erledigt hatten, machten wir uns wieder auf den Weg zurück nach Hause. Nach dem ich mich für einige Stunden mit schweizerischen Themen und Realitäten beschäftigt hatte, tauchte ich wieder in die örtlichen Realitäten ein. Mit der hohen Luftfeuchtigkeit, dem Schweiss, der ein stetiger Begleiter geworden ist, seitdem der Regen eingesetzt hat, zogen wir durch die Strassen von Mbour zum nächsten Taxisammelplatz, um einen Taxiplatz zu ergattern. Kurze Zeit später sassen wir in einem Taxi und verhandelten mit den Preis. Währenddessen bezahlt und Geld gewechselt wurde, streckten Talibés (Strassenkinder) vor allem mir ihre Hände durchs Fenster vor meine Nase. Denn ich bin eine Weisse, von welcher man sicherlich etwas Geld erhalten kann. Auch versuchten sie stets, während des Geldtransfers den Leuten das Geld jeweils aus den Händen zu schnappen.

 

Ja, hier im Senegal ist es nicht möglich, die Augen vor den traurigen Realitäten zu verschliessen. Die unterschiedlichen Kontraste sind so gross, dass du sie schlichtweg nicht ignorieren kannst.

 

Ihr Lieben,

wir grüssen Euch herzlich aus dem Senegal und senden eine grosse Brise Meeresluft zu Euch.

 

Eure/r

Muriel & Madiakher

 

©Verein "Nio boku gis gis - on vois dans la même direction"