Die Baustelle sah für mich immer wilder aus! (1. Teil)
Ich sitze mit Mane unter dem Baum vor ihrem Haus. Ich bewundere Mane sehr, denn sie ist eine sehr tüchtige Frau. Sie lässt sich nicht aufhalten, ist sich nicht zu schade, die unterschiedlichsten Arbeiten zu übernehmen und setzt sich nicht nur mit all ihren Kräften für ihre Familie ein, sondern auch für sich als Person. Sie ist eine grosse Respektperson, welche als Griot* altes Wissen aus Generationen mit sich trägt. In eine bekannte Griot Familie hineingeboren, hat sie sich einen grossen Namen erschaffen. Sie überliefert dieses Wissen auch an ihre Kinder und Grosskinder. Sie ist neunfache Mutter, pflegte ihren Mann bis zum letzten Tag, arbeitet von morgens früh bis abends spät, bringt die Familie durch und ist eine grossartige Grossmutter. Ihr Zuhause besteht aus fünf Zimmern und einem Vorplatz. Diese Zimmer sind wie ein «U» gebaut, wodurch sich der Vorplatz zwischen den Zimmern ergibt. Über ihr Grundstück führt eine kleine Strasse und auf der anderen Seite steht dieser Baum, unter dem wir sitzen. Gerade kochen wir zusammen und unterhalten uns dabei. Ich schaue mir immer wieder ihr Zuhause an. Das Wellblechdach weist unzählige Löcher auf, das Bad liegt auf der anderen Seite der kleinen Strasse. Meine Gedanken schweifen ab. In Gedanken bin ich wieder beim Gespräch mit zwei von ihren Söhnen und ihr. Deren Wunsch ist es, für Mane einen zweiten Stock auf ihre vier Räumlichkeiten zu bauen. Dabei soll auf dem neuen oberen Stock ein gutes und starkes Dach gebaut werden sowie neben Zimmern auch ein kleines Bad. Sie denken an die Zeit, in der die Kräfte von Mane nachlassen werden. Sie soll nicht mehr schwere Arbeit machen, denn ihre körperlichen Kräfte nehmen wie bei uns allen mit steigenden Alter ab. Mit den zusätzlichen Räumlichkeiten könnte sie diese untervermieten, um damit ihr Einkommen und Überleben zu sichern. Während ich in Gedanken bin, nehme ich die Räumlichkeiten nochmals genau unter die Lupe. Je länger ich sie betrachte und sie gemeinsam mit der Lebenssituation verbinde, desto überzeugter bin ich von dieser Idee. Obwohl alle hier unglaublich tüchtig arbeiten, reicht das Einkommen nicht, um einen solchen Wunsch zu realisieren.
*Griot bezeichnet in Teilen von Westafrika einen berufsmässigen Sänger, Tänzer, Dichter und Instrumentalisten. Sie sind die Bewahrer der Geschichte, oralen Literatur und Musik ihrer Völker. Sie singen Preislieder zum Lob ihres Auftraggebers, erzählen Geschichten mit historischen, mythologischen oder satirischen Inhalten und unterhalten oder belehren dabei.
Madiakher und ich denken immer wieder über diese Idee der Restaurierung und des kleinen Ausbaues von dem zuhause von Mane nach. Mit Coeurs des Enfants wollen wir Menschen wie Mane unterstützen. Es stellt sich immer wieder die Frage: wie finden wir die Projekte und die Personen, welche wirklich Unterstützung brauchen. Befinde ich mich in Gesprächen mit Menschen, bitten alle um Hilfe oder fragen mich nach Geld. Doch wo ist der grössere Bedarf, bei wem braucht es sehr schnelle Unterstützung? Und wie sollen wir entscheiden, wer den grösseren Bedarf hat? Am liebsten würden wir allen unter die Arme greifen, doch sind wir ehrlich, das können wir leider nicht. Auch wenn wir es wollten. Auch die Entscheidung, des grösstenBedarfs ist nicht einfach, denn auch hier besteht der Wunsch, alle zur selben Zeit zu unterstützen. Wem können wir vertrauen, wie kommen wir an vertrauenswürdige Personen und welche Unterstützung liegt in unseren Möglichkeiten? Würden wir auf den Marktplatz gehen, uns als Verein zu erkennen geben und mitteilen, dass wir Privatpersonen unterstützen könnten, wären wir mit dem Herausfiltern von den Projekten ziemlich schnell überfordert. Und wir könnten uns nie sicher sein, ob unsere Unterstützung wirklich an einem Ort angekommen ist, an dem es auch wirklich notwendig ist.
Wir beschlossen im Verein, dass wir nur über schon bestehende Beziehungen sicher sein können, dass die Unterstützung für die Hilfe zur Selbsthilfe an einen guten Ort gelangt wird. Mit einem guten Ort meinen wir natürlich an einen Ort, an dem die Unterstützung auch wirklich notwendig ist und sie auch gut weiter genutzt werden kann. Auch möchten wir bei dieser Art von Unterstützung keine Abhängigkeit zu Coeurs des Enfants schaffen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe leisten.
So kam auch der Beschluss zustande, dass wir die Idee von der Restaurierung und Ausbau des Zuhauses von Mane umsetzten möchten. Von der Idee zur Tat geschritten. Mit dem Adventskalender machten wir im letzten Jahr auf dieses Projekt aufmerksam. Obwohl es erst etwas ruhiger wurde in Bezug auf dieses Vorhaben, ging es doch bald schon los damit.
Hier im Senegal glaubt man daran, dass ein Vorhaben besser gelingen kann im Stillschweigen. Im Stillen werden die einzelnen Schritte angegangen und das Vorhaben nach und nach realisiert. Denn umso mehr Personen davon wissen, desto mehr wird darüber gesprochen. Worte und Gedanken haben Kräfte und könnten das Vorhaben ins Wanken bringen, wenn beispielsweise Eifersucht oder ungute Absichten sich in die Gespräche einschleichen. Realisiert man also das Vorhaben im Stillen, gibt es einen gewissen Schutz und das Projekt wird gelingen.
Ende November 2022 ging es dann im Stillen schon los. Lastwagen mit Bausand haben wir gekauft und Madiakher organisierte alles, damit es vor dem Haus deponiert werden konnte. Mit dreieinhalb Tonnen Zement fingen die Bauarbeiter an, die Bausteine für die Mauern und das Dach zu giessen.. Danach wurden sie eine Zeit lang zum Trocknen in der Sonne gelegt. Derweilen war unser Bauherr daran, aus den gekauften Eisenstangen Eisengerüste zu bauen, welche die Stabilität der Mauern und des Fundaments gewährleisten sollte.
Da die Räumlichkeiten in einem «U» gebaut sind, musste noch einen Graben gegraben werden, welche eine vierte Mauer ergeben soll um die vierte Seite im «U» zu schliessen. Denn durch die gegebene Form der Räumlichkeiten fehlte eine Seite, um ein gutes Dach darauf bauen zu können. Als wir mit dem Aufschneiden der vorhandenen Mauern begannen, um sie mit den Eisenstanden zu stabilisieren, erkannten wir, dass die vorhandenen Räumlichkeiten weder ein Fundament hatten noch generell eine Stabilisierung durch Eisenstangen. So mussten wir nicht nur einfach die Mauern an den Ecken mit Eisen stabilisieren, sondern auch noch ein Fundament mit Eisenstangen einbauen.
Madiakher ging jeden Tag von morgens früh um sieben bis abends spät auf die Baustelle. Er war der erste und letzte auf der Baustelle. Den ganzen Tag über schaute er, dass die Bauarbeiter genügend zu trinken und zu Essen hatten und war selber Teil der Bauequipe. So war er mitten in die Arbeiten mit eingebunden und lernte jeden Tag mehr dazu, wie ein Haus gebaut wird und was die Arbeit auf der Baustelle beinhaltet.
Die Baustelle sah für mich immer wilder aus und als das Wellblechdach abgebaut wurde, konnte ich für einen Moment das für mich erscheinende Durcheinander kaum aushalten. Doch schaute ich genauer hin, erkannte ich die Abläufe, die Ziele und die einzelnen Handlungsschritte. Das Durcheinander war doch nicht so gross wie ich es angenommen habe. Ich war sehr beeindruckt.
Doch wo wohnten Mane und die anderen aus der Familie? Und wie ging es weiter? Erfährt es im nächsten Blogeintrag.