WIR erleben & SIE erleben

Teilen Sie ihre Erlebnisse mit uns und der Welt

Wir freuen uns auf Ihren Beitrag per E-Mail: verein@coeursdesenfants.org

Das Schöne und das Traurige liegen so nah beieinander

Das Schöne und das Traurige liegen so nah beieinander

Die letzten Tage ging ich immer wieder auf einen Spaziergang gemeinsam mit Madiakher. Die Füsse kann man sich hier in Mbour auf verschiedene Arten vertreten. Manchmal schlendern wir durch die Nebenstrassen rings um das Haus, in dem wir zurzeit wohnen oder wir spazieren in ein Nachbarsquartier auf einen Kaffee an einer Buvette. Einen grösseren Spaziergang ergibt sich, wenn wir durch die Nebenstrassen bis ans Meer gehen. Da Mbour an der Küste liegt, gibt es hier lange Strände. Der eine Teil des Strandes ist der Badestrand. Hier trifft man sich am Nachmittag, respektive gegen Abend, um den Tag ausklingen zu lassen. Der andere Teil des Strandes ist der Fischerstrand. Um dahin zu gelangen, spazieren wir in die Stadt hinein, durch die Stadt durch, einmal quer über den Markt und im hinteren Teil des Marktes, wo die Hühner verkauft werden, verlassen wir ihn wieder. Schon früh morgens auf dem Markt reges Treiben. Hier ist alles zu finden. Von Frischprodukten bis zu Gegenständen, weiter zu Dienstleistungen (wie beispielsweise Geldwechseln, Haarschneiden, Reparaturen usw.) und Transportangeboten. Umgeben von den unterschiedlichsten Geschmäckern, vielen Menschen, Angeboten und Produkten durchqueren wir früh morgens den Mark. Beim Hinterausgang sehen wir verschiedenste LKWs gefüllt mit Fisch. Madiakher erzählte mir, dass es hier manchmal schon gar keinen Fisch mehr zu kaufen gäbe, da alles nach Europa transportiert würde. Ein «Buegebayfall», «Madiakherkher» begleitet uns, wenn wir durch die Strassen gehen, und schirmt uns vor den Menschen die Madiakher grüssen wollen oder vor Jenen, die uns nach Geld fragen. «Tubabi, Tubabi» höre ich neben mir von kleinen Kindern, die mir staunend nachschauen. «Weisse, Weisse», sagen sie mir damit. Manche trauen sich auch mich zu grüssen. Nachdem sie mich gegrüsst haben, drehen sie sich um und betrachten ihre Hand, mit welcher sie meine Hand geschüttelt haben. Als würden sie schauen wollen, ob etwas Weisses nun auf ihrer Hand zurückgeblieben ist. Wieder auf den Strassen von Mbour, nachdem wir den Markt verlassen haben, kommen wir bald schon an den Strand. Hier stehen unglaublich viele Piroques. Das sind handgefertigte Holzboote, welche hier für den Fischfang genutzt werden. Ich höre gespannt den Erzählungen von Madiakher zu, welcher neben mir geht. Als Jugendlicher sei er als Fischer tätig gewesen. Tage lang sei er teilweise auf dem Meer draussen auf Fischfang gewesen. Wenn sie mit den Piroques zurück kamen, sei er ins Meer gesprungen, um nach den Bedingungen zu schauen, um das Schiff ohne Zwischenfälle aus dem Wasser zu holen. Beispielsweise schaute er, ab wann wieder fester Boden unter den Füssen kommen würde, oder zählte die Wellen, um herauszufinden wann ein günstiger Zeitpunkt wäre, das Schiff heraus zu holen. Mein Blick schweifte über die vielen Boote, über all den Abfall, der hier lag. Die streunenden Hunde, die Schweine, die nach Essen suchen, Kinder, die soeben aufgewacht sind und sich auf die Suche nach etwas Essbarem machen. Ein Mann steigt soeben vom Strand aus ins Meer, um sich zu waschen. Und auf dem Meer ein Boot, von welchem ein Mann soeben ins Wasser springt. Madiakher erzählt weiter, dass manche Männer auch auf ihren Booten übernachten, welche sie in Strandnähe geankert haben. Mein Blick schweift wieder zurück auf den Boden. Mittlerweile sind wir vorne am Wasser angekommen. Einfach verrückt, wie viel und was für Abfall hier zu entdecken ist. Soweit das Auge reicht Abfall. Es ist zu erkennen, dass dieser Abfall nicht von Senegal alleine kommt, sondern grössten Teils angeschwemmt wird. Fischgedärme, unendlich viel Plastik, Stoff und Fischernetzreste, die wieder verwendet werden, Papier, Karton, Zerbrochene Brillen, zerrissene Schuhe, Aludosen, Plastik, Plastik und noch mehr Plastik, Elektroschrot…Ach, ich kann gar nicht alles aufzählen. Einfach verrückt und definitiv zu viel! Viel Abfall würde von Europa und Umgebung angeschwemmt werden. Und seit nun wieder so viele Menschen ihr Glück in Europa suchen, würden hier auch regelmässig Leichen angeschwemmt werden. Mir wird von Madiakher erklärt, dass es vor Jahren schon mal so einen Strom gab, welcher sich jetzt erneut wiederholen würde. Viele Männer und Familien suchen ihr Glück auf den spanischen Inseln und hoffen, in Europa ein besseres Leben aufzubauen. Mit den Piroques, gefüllt bis an den Rand, verlassen sie Senegal und fahren los. Tage lang übers Wasser bis auf die Inseln. Die meisten Boote schaffen es nicht, wodurch viele ihr Leben verlieren. Viele Freunde und Bekannte, Männer aus dem Quartier von Madiakher sind schon gestorben oder man hat nichts mehr von ihnen gehört. Es wird vermutet, dass sie ertrunken sind. Auch der eine Bauherr, welche die ersten Bausteine vom Haus «Coeurs des Enfants» gelegt hat, hat sein Glück versucht. Wir wissen bis heute nicht, wie es ihm geht und ob er auf den Inseln angekommen ist. Der Sohn des Bauherrn, welcher es auch versucht hat, ist in Mbour am Strand wieder gefunden worden. All dies erzählt mir Madiakher, während wir den Strand hinauf und wieder zurück gingen. Es stimmt mich unglaublich traurig und macht mich fassungslos. Das darf doch alles einfach nicht wahr sein! Neben der Trauer kam auch eine Wut hoch. Warum sind die Ressourcen auf unserer Erde so ungleich verteilt? Es hat doch genug für alle. Warum haben die einen so viel und die anderen nichts? Schon immer haderte ich mit diesem Ungleichgewicht und nun hier am Strand… es macht mich einfach fassungslos. In meinem Kopf geht ein Gedankenkarussell los. Es ist doch eigentlich gar nicht so schwierig, den eigenen Abfall direkt zu entsorgen und ihn nicht einfach auf den Boden zu werfen. Wenn jede einzelne Person ihren Abfall selbst entsorgt oder wir gar nicht erst so viel Abfall produzieren…Warum muss es soweit kommen, dass Abfall von anderen Kontinenten oder Ländern angeschwemmt wird? Ganz versunken in meine Gedanken und Emotionen hätte ich fast diese schöne Perlmuttmuschel verpasst. Lange schaute ich sie mir an. Wie unfassbar das alles doch ist. Das Schöne und das Traurige liegen so nah beieinander. Eine Welle kommt und das kalte Meerwasser schwappt über meine Füsse. Es holt mich wieder aus meinen Gedanken zurück. Und ein weiteres Mal stelle ich fest, dass ich bis jetzt grosses Glück in meinem Leben hatte. Ich durfte in der Schweiz aufwachsen und meinen Traum nun in die Realität umsetzten. Meinen Wunsch, mein Glück und meine Ressourcen zu teilen, das was ich habe, im Sinne von Wissen, Erlebnissen und Möglichkeiten, an einen Ort zurück zu geben. Auf meine Weise und mit meinen Möglichkeiten ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen den beiden unterschiedlichen Ländern Senegal und Schweiz. 

Es ist ein solches Glück, dass Madiakher und ich, zusammen mit so vielen wundervollen Menschen, das Herzensprojekt «Coeurs des Enfants – Ndimbal ak yërmandé» realisieren können. Mit Coeurs des Enfants schaffen wir Zukunftsperspektiven für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Was für uns Kleinigkeiten sind, wie beispielsweise Lesen und Schreiben können, ist hier sowas Grosses. Einen Ort zu haben, an dem etwas gelernt werden kann, wie beispielsweise Französisch, ohne den Stress zu haben nach Essen suchen zu müssen, ist für viele Kinder hier ein grosser Luxus und ein Traum. Wer etwas lernen möchte, benötigt dafür Zeit und einen gefüllten Magen, welcher nicht am Knurren ist vor Hunger. All dies und noch vieles mehr ermöglicht unser Herzensprojekt «Coeurs des Enfants – Ndimbal ak yërmandé».

 

Noch stehen wir in der Anfangsphase. Bald können die Gartentore in unsere Grundstückmauer eingebaut werden und der Brunnen ist in Kürze auch schon renoviert. Das Hauptstück fehlt jedoch noch. Das Haus «Coeurs des Enfants» muss noch gebaut werden.

Um dies realisieren zu können benötigen wir dich. Jede Unterstützung zählt! Eine Spende von nur 100.- lassen die Grundmauern um einiges wachsen.

Sei auch du einen Teil von Coeurs des Enfants. Werde Mitglied in unserem Verein mit einem Mitgliedbetrag von nur 50.- jährlich und sei hautnah mit dabei.

Gemeinsam gehen wir voran und verändern ein kleines Stückchen Welt, so dass ein weiteres Puzzleteil sich in ein Ganzes einfügen darf.

 

Alles Liebe,

Muriel und Madiakher 

©Verein "Nio boku gis gis - on vois dans la même direction"